Ramon Juchli und Jodok Achermann haben sich als M$G neu erfunden. Am Samstag taufen sie ihr Debütalbum «Massage» im Zeughaus Willisau. Was haben schräge Blockflötenklänge mit einer neuen Männlichkeit zu tun?
Geht doch! Zufrieden betrachten die beiden Männer die Plakatsäule vor den Toren der Altstadt Willisau. Sie haben ein Plakat der Volkshochschule Willisau auf einen freien Platz etwas weiter nach unten verschoben, zuvor klebte es direkt über ihrer Ankündigung: M$G – Massage. Jodok Achermann und Ramon Juchli schauen sich selbst entgegen, da auf dem Plakat mit roten Lippen und kurzen Hosen, hier in der Winterkälte mit dicken Mänteln und warmem Schal. Am 27. Januar soll die Plattentaufe ihres Debütalbums über die Bühne des Zeughauses Willisau gehen. Entstanden sind 13 Songs, die M$Gs Sound-Entwurf zwischen Trap und Tragikomik in die Welt tragen sollen. Der Bass drückt, die Blockflöte kreischt, Ramon und Jodok rappen über (Selbst)liebe in Zeiten des Spätkapitalismus. Mehrdimensionale Männlichkeit. Süsse Freuden des Alltags.
Schlagzeilen für Willisauer Duo
Treffpunkt an diesem Abend war der Bahnhof Willisau. Eineinhalb Stunden pendelte Jodok zurück an seinen Geburtsort – der 25-Jährige studiert in Basel Prozessgestaltung am Hyperwerk. Der Weg von Ramon hingegen war denkbar kurz, kam der 27-Jährige doch direkt mit seiner Arbeitskollegin aus der Redaktionsstube des «Willisauer Bote». Als Böttu-Journalist die Seite wechseln, von der eigenen Zeitung interviewt werden – «komisch». Gefreut habe es ihn trotzdem, als das Team beschloss – Arbeitskollege hin oder her – ein Bericht über M$G und ihr Debütalbum sei unausweichlich. Ausschlaggebend auch: zahlreiche Schlagzeilen in diversen Online-Medien, ein fast ganzseitiger Bericht in der Luzerner Zeitung. «Bissig, unterhaltsam, zusammengebastelt», urteilt eine Kulturwebsite über das neue Album, als «wichtigster Willisauer Export» bezeichnet ein Jugendradio das M$G-Projekt. Kurz: Das Echo aus der Stadt ist gross. Ebenso die Verwirrung im Luzerner Hinterland. «Meined die das öppe ärnscht?» Vorweg: Ja, tun sie. Anders als zu ihren Anfängen vor acht Jahren.
So einfach und so geil
2016. Der Grosswanger Ramon Juchli und der Willisauer Jodok Achermann lernen sich im Jugendtheater Willisau kennen. Damals unter den Jugendlichen voll im Trend: deutscher Hip-Hop. Ramon und Jodok finden: «So einfach und so geil. Das können wir auch.» Gesagt, getan. Im Proberaum von Freunden – im Luftschutzkeller des Feuerwehrlokals – machen sie die ersten Schritte als M$G. Oder anders formuliert: «Wir waren einfach Trap-Boys, die Beats aus dem Internet geklaut haben und Money Boy nachäfften», fasst Jodok die Anfangszeiten zusammen. In Pelzmäntel gehüllt rappen sie über Drogen, Autos, Sex. Die Ironie ging zwar Hand in Hand mit dem Trash – «und doch reproduzierten die Texte Sexismus oder Gewaltverherrlichung, was nicht mit unseren Werten einhergeht», so Ramon. «Deshalb brauchte es nach dem spätpubertären Geltungsdrang auch eine längere Pause.» Diese sollte bis ins Frühjahr 2021 andauern. Dann kommt unerwartet eine Anfrage von einem Bekannten der beiden: Wollt ihr im Herbst bei einer Veranstaltungsreihe in Luzern auftreten? Das Duo will. Aber nicht mit ihren alten Songs. «Auch wenn viel Parodie dabei war – hinter den Texten konnten wir nicht länger stehen», sagt Jodok. Wie wollen sie sich entwickeln? Intensiv machen sie sich daran, diese Frage zu beantworten. Und finden teilweise erstaunliche Antworten: Etwa mit Jodoks Entscheidung, mit der Blockflöte auf die Bühne zu treten, obwohl er das Instrument mehr schlecht als recht beherrscht. «Passend zu unserem gepflegten Dilettantismus», entgegnet er mit einem Augenzwinkern. Und dieser kommt gut an. Der Auftritt im Herbst 2021 bestätigt sie darin. Also beschliessen sie, weiterzumachen. Und wie: In den letzten zweieinhalb Jahren spielt das Duo knapp 20 Konzerte. Nach und nach kommen mehr Liedertitel dazu. Mit dem Song «25 Stotz» räumen sie beim Kick Ass Award des Radio 3FACH den dritten Platz ab.
Gegen ein hartes Mannsbild
Ein Sektglas Prosecco für Jodok, eine Flasche alkoholfreies Bier für Ramon. Das Duo sitzt nebeneinander auf der samtenen Bank des Café City, ehemals «Bierhalle» Willisau. «Nach einem Auftritt bekommen wir häufig die Rückmeldung, es sei lustig gewesen», erzählt Ramon. Für ihn ein zwiespältiges Feedback. «Einerseits haben wir den Anspruch, unseren Humor in die Songs einfliessen zu lassen – die ironische Haltung von früher haben wir nicht ganz abgelegt.» Anderseits hätten selbst «die blödesten Stücke» eine tiefere Ebene. Mit den Texten verarbeiten die zwei, was sie und ihr Umfeld beschäftigt. Mal geht es um Selbstfürsorge in einer Leistungsgesellschaft, mal nehmen sie den Luzerner Regierungsrat ins Visier, mal wünschen sie sich eine S-Bahn von Sursee nach Willisau. Und bei all dem stehen sie gegen eine toxische Männlichkeit ein. «Wir wollen mehr Facetten von Mannsein zulassen», sagt Jodok. «Wir haben keinen Bock, auf dieses harte, sich ständig beweisende Mannsbild.» Ironisch überzeichnen sie das vorherrschende Bild von Männlichkeit im Song «Boys ‹R› Us»: «Jede Maa wo brüeled esch es Opfer, die einzig Usnahm esch de Roger. Männer met Gfühl, das hed grad no gfäut, as hätte mer ned so scho gnueg Problem uf de Wäut. (…) Männer wärded ned gebore, Männer wärded erzoge.» Nicht nur textlich, sondern auch visuell setzen sie auf der Bühne ein Exempel gegen eine solche Männlichkeit: mit kurzen Tops, hohen Schuhen, roten Lippen, Herzen auf den Wangen und viel Körperkontakt. «Wir wollen nicht an etablierten Codes festhalten, versuchen eine pro-queerfeministische Haltung einzunehmen», sagt Jodok und betont: Die Bühnenpräsenz sei in Hinsicht auf Geschlechterrepräsentation immer noch sehr unausgeglichen. «Männer sind in der Überzahl und wir tragen zu diesem Umstand bei.» Dem Duo ist es deshalb wichtig, «dass nicht nur wir zwei Dudes sichtbar sind». Darauf wolle man künftig noch stärker ein Augenmerk legen – auch deshalb, weil viele Arbeit im Hintergrund von M$G nicht von Männern gemacht werde.
«Eine prekäre Balance»
«Mit der Plattentaufe unseres Albums am nächsten Samstag bekommen wir die Möglichkeit, nun auch im Hinterland unsere alte M$G-Haut abzustreifen», sagt Ramon. Indem sie den Bass wummern lassen, schräg in die Blockflöte blasen und dabei erstaunlich tiefgründige Sozialkritik bieten – wobei sie sich selbst trotzdem nicht all zu ernst nehmen. «Was das abgedrehte Duo hier produziert, ist unvergleichlich und schafft es irgendwie, die prekäre Balance aus beinahe unhörbarem Quatsch und erstaunlich tanzbarer Genialität stets zu halten», schrieb ein Redaktor eines Musik-Magazins über M$Gs Debütalbum Massage. Das zu beurteilen, überlassen Jodok und Ramon dem Publikum. «Das Endresultat ist vielleicht nicht für alle – aber es wäre schön, viele Freundinnen und Freunde aus dem Hinterland begrüssen zu dürfen», sagt Jodok. Er zieht sich den Kragen seiner roten Daunenjacke höher, die Winterluft sucht sich kalt einen Weg durch alle Ritzen. Zurückgekehrt an den Treffpunkt am Willisauer Bahnhof, wartet er auf den Bus Richtung Sursee, um dort nach Basel in den Zug zu steigen. Ramon wird die Verbindung nach Luzern nehmen, er wohnt da in einer WG. «Wir leben schon lange nicht mehr hier, sind aber trotzdem noch verbunden mit Willisau», sagt Ramon. Beide engagieren sich im Verein Aktion Kultur Willisau, den sie mitgegründet haben. Die beiden Männer verabschieden sich. Sie umarmen sich lang und innig, wie sie es auch oft auf der Bühne tun. Und wer sich dabei nicht vom schrägen Humor und Flötenklang ablenken lässt, erkennt, um was es bei M$G eben auch geht: um mehr Zärtlichkeit.