Tamara Widmer kennt ihre Bestimmung: Die 27-jährige Bäuerin und Heilpflanzenfachfrau will ihr Leben möglichst in Einklang mit der Natur gestalten. Glücklich ist sie besonders dann, wenn sie die Finger in Gartenerde vergraben kann.
Wenn das Navi sieben Minuten anzeigt, hat es meistens recht, oft ist man gar etwas früher am Ziel. Nicht so im Luthertal. Da bedeuten sieben Minuten auf Google Maps gefühlt um die 13 Kurven und vier «Höger». Was wiederum bei all jenen Autofahrerinnen eine Verspätung garantiert, die das Gelände nicht wie ihre eigene Hosentasche kennen. Das ist soeben der Fall. Die Redaktorin kämpft sich im Schneckentempo fluchend um Kurve. Und Kurve und Kurve und Kurve. Dann: Gibt das Navi den Geist auf. Zwischen einer Holzbeige und der nächsten Haarnadelkurve. Kein Netz. «Ferchhüsli 2, Luthern Bad» steht zwar noch als Zielort auf dem Handybildschirm, doch die Wegbeschreibung fehlt. Und jetzt? Gilt es sich auf der vorgeladenen Karte zurechtzufinden. Ob die Interviewpartnerin die Verspätung wohl verärgert? Schwierig zu sagen, ist doch fast nichts über sie bekannt. Lediglich ihr Instagram-Profil ist der Grund, wieso der WB die Luthertalerin kontaktiert hat. Als «Hinterland_Bauer» lädt sie regelmässig schöne Fotos von einem vielfältigen Alltag hoch – mal räuchert sie mit Heilpflanzen das Haus oder behandelt mit Homöopathie die Pflanzen, dann wieder erntet sie Elefanten-Chilis, Topinambur und Zucchetti aus dem eigenen Garten oder stellt Sirup, Chutney und Sugo her. Gemäss Beschreibung auf Instagram ist sie Heilpflanzenfachfrau, Koch und Bäuerin. Doch welche Persönlichkeit steckt wirklich hinter dem stimmigen Social-Media-Profil?
Umgeben von der Natur
Natürlich, direkt, reflektiert. So der erste Eindruck von ihr, Tamara Widmer, 27-jährig, wie sie die Redaktorin begrüsst, mit festem Händedruck und einem Lachen, das die dunkelbraunen Augen erreicht. Die Verspätung tut sie mit einem Achselzucken ab – «do hende esches ame chli schwerig metem Netz», sagt sie amüsiert. Tiefstes Hinterland, in der Tat. Der kleine Hof, auf dem Tamara Widmer lebt und aufgewachsen ist, liegt umgeben von grünen Hügeln und dichten Wäldern wie ein Urgestein in der Landschaft. Der Betrieb wird von ihren Eltern geleitet. Der einzige Nachbar: Ihr Bruder, der gleich nebenan wohnt. «Andere in meinem Alter gehen auf weite Reisen oder ziehen in die Stadt. Aber ich will hier vorläufig nicht weg.» Mitten in der Natur: «Da fühle ich mich am wohlsten.» Abwechslung hält ihr Alltag indes genug bereit.
In Küchen und auf Feldern
Etwas eigensinnig, eindeutig selbstbestimmt. So der Eindruck von Tamara Widmer, spricht man mit ihr über die berufliche Laufbahn. Die beginnt mit der Lehre zum Koch, welche sie im Begegnungszentrum St. Ulrich, Luthern, absolviert. Nach der Berufslehre packt sie als Saisonarbeiterin im Winter in Küchen von Skigebieten an und steht im Sommer für Landwirtschaftsbetriebe auf dem Feld. «Ich vertraue stets meinem Bauchgefühl – das verschlägt mich immer in die passende Richtung.» Konkret führt es sie zurück zu ihren Wurzeln: zur Landwirtschaft. Sie absolviert die Bäuerinnenschule in Schüpfheim. Daneben baut sie Erdbeeren an, die süssen Früchte haben es ihr angetan. Sowieso: Die Leidenschaft für das Gärtnern entflammt. Das hügelige Gelände rund um den elterlichen Hof macht die Gartenarbeit zwar nicht einfach. Doch hat sich Tamara Widmer mal was in den Kopf gesetzt, gibt es kein Zurück mehr. Mittlerweile hat sie etliche Beete angelegt, die Gemüseernte reicht für die Selbstversorgung. Die Erdbeeren – über 700 Stöcke hat sie heuer angepflanzt – vertreibt sie über Direktvermarktung. «Hier ist auch Zusammenarbeit wichtig.» So gelangen ihre Erdbeeren etwa in den Hofladen 1616 in Ettiswil. Und das alles in ihrer Freizeit. Beruflich ist sie nämlich voll eingebunden als «Teilselbständige Allrounderin».
Das heisst? Vor einem Jahr hat Tamara Widmer ein Inserat online geschaltet. Darin bietet sie ihre Hilfe an, als Gartenhilfe, Koch, Haushaltsunterstützung. Einmal mehr bestätigt sich, was die Luthertalerin zu sagen pflegt: «Das Gute findet mich.» Ihre Dienste sind gefragt, zahlreiche Angebote trudeln ein. Von Familien oder Bauernbetrieben, die im Alltag Hilfe gebrauchen können. So ist Tamara Widmer Tag für Tag an einem anderen Arbeitsplatz. «So wird mir garantiert nicht langweilig», sagt sie und lacht. Das ist ihr wichtig, Eintönigkeit ist ihr ein Graus. Oder wie sie es ausdrückt: «Ech ha mängisch müeh, s’Födle stöu z’ha.»
Die Kraft der Natur
Neugierig ist sie. Tatsache, kein Eindruck. Wann immer die junge Bäuerin dazu kommt, bildet sie sich in ihrem Wissen rund um die Pflanzenwelt weiter. Beim Altbürer Brunnmatthof schliesst sie die Ausbildung zur Heilpflanzenfachfrau ab. Dort lernt sie über 60 Heilpflanzen im Detail kennen, taucht in die Welt der Inhalts- und Wirkstoffe ein und lernt die Signatur und Bedeutung für das Anwendungsgebiet der Heilpflanzen zu begreifen. «Es ist eindrücklich, welche Wirkung die Natur haben kann, wenn man sie anzuwenden weiss.» Ob bei körperlichen Schmerzen, seelischen Lasten – oder einfachen Alltagsherausforderungen. «Ich habe etwa für meine Erdbeeren aus Kräutern Dünger gemacht, weil ich keine Chemie in meinem Garten will – es funktioniert!» Learning by doing: Ein Konzept das ihr zusagt. Ausgelernt? «Hat man sowieso nie. Je mehr ich weiss, desto mehr Fragen habe ich.»
Glücklich. Schätzt sich die Luthertalerin, wenn sie die Finger in der Erde vergraben kann. Im Garten lässt sich der Kopf auslüften. Es entsteht Platz. Für abermals neue Ideen. Etwa für Rezepte, mit denen sie ihr Gemüse später zubereiten oder einmachen möchte. «Ich mache gerne möglichst viel selbst.» Vom Anbau bis zur Verarbeitung: «Es ist toll, zu wissen, was auf dem Teller ist.» Hier kommen all ihre Ausbildungen zusammen.
Das präsentiert sie auch auf Instagram. «Ich fotografiere sehr gerne, komme aber kaum dazu, mir dafür extra Zeit zu nehmen.» Deshalb hat sie sich entschlossen, ab und zu ihren Alltag festzuhalten. «Ich denke aber oft nicht daran.» Nur, wenn die Lichtverhältnisse stimmen. Wenn etwa Sonnenstrahlen die Erbeerstauden kitzeln, dann wischt sich Tamara Widmer rasch die Erde von den Händen, rennt ins Haus und holt ihre Nikon. Knipst. Lädt am Abend das Foto auf Instagram hoch – vorausgesetzt der Internet-empfang stimmt.