Am Freitag, 31. Dezember 2021, ist der letzte Arbeitstag von Erwin Duss und Doris Riechsteiner. 20 Jahre lang wirtete das Paar im Restaurant Taube. In dieser Zeitspanne zeichnete das «Tübeli» vor allem etwas aus: die Beständigkeit.
Erwin Duss und Doris Riechsteiner wirteten für zwei Jahrzehnte im Restaurant Taube in Willisau. Am 31. Dezember ist ihr letzter Arbeitstag. Foto Chantal Bossard
Und wieder geht die Tür auf. «Sali Sepp», grüsst Doris Riechsteiner, und fragt, die Hand bereits am Zapfhahn, «geds es Bier?» Es ist kurz nach 13 Uhr, der Stammtisch vom «Tübali» füllt sich. Zeitungen werden herumgereicht, Zigaretten angezündet. Geredet wird nicht gross. Noch nicht. Später dann, nach zwei, drei Bier, da kann es schon zu Diskussionen kommen. Oder es gibt einen Jass, je nachdem, wer am Tisch sitzt.
Es ist Mittwochnachmittag, 14. Dezember 2021, doch das ist nicht relevant. Etwa so läuft es im «Tübeli» nämlich Tag für Tag, Monat für Monat. Seit 20 Jahren. «Mindestens», sagt Erwin Duss. Der «Tübeli»-Wirt erklärt: Als er zusammen mit seiner Partnerin Doris Riechsteiner das Restaurant Taube übernahm, da hätten sie ein Ziel gehabt: «S’Tübeli soll s’Tübeli bleiben.» Eine Traditionsbeiz mit Charakter, ohne «Schniggschnagg». Oder wie es ein Stammgast ausdrückt: «Manchmal denkt man, im ‹Tübeli› sei die Zeit stehen geblieben.» Ein Kompliment für das Wirtepaar – deren Ära nun zu Ende geht. Sie geben das «Tübeli» in neue Hände: Ab 1. Januar 2022 übernehmen Simone Hofstetter und Philipp Birrer ihren Posten (siehe Kasten «Das neue Wirtepaar»). «Kaum zu glauben, wie schnell die letzten zwei Jahrzehnte vorbeigingen», sagt Doris Riechsteiner. Manchmal denkt man, im Tübeli sei die Zeit stehen geblieben. Stammgast Restaurant Taube
Zapfhahn vor Bratpfanne
Hilfe in der Not: Das bot Erwin Duss 2002 der damaligen «Tauben»-Wirtin Petra Meier. «Über mehrere Ecken wurde ich angefragt, im ‹Tübeli› auszuhelfen», erzählt Duss. Zuvor war der gelernte Bäcker und Koch unter anderem im Berghaus Eigerblick auf der Marbachegg tätig, und im Restaurant Feldmoos in Escholzmatt waltete er als Gerant. Und: Mit dem einstigen Willisauer Restaurant Bahnhof versuchte er sich in der Vergangenheit gar selbst als Pächter und Wirt. «Ein Reinfall aus verschiedensten Gründen», sagt er rückblickend. «Nach dieser Geschichte dachte ich: Das mache ich nicht mehr.» Er sollte sich täuschen. Innert Kürze übernahm er das Wirten im «Tübeli» – zusammen mit seiner Partnerin Doris Riechsteiner, welche ihrerseits im Servicebereich bereits Erfahrung hatte. Anfangsschwierigkeiten? «Hatten wir keine.» Denn: «Wir machten schlicht dort weiter, wo all unsere Vorgänger aufhörten.» Das heisst konkret: Im «Tübeli» wird getrunken und geraucht. Eine Speisekarte gibt es grundsätzlich nicht. Wer will, der bekommt zum Znüni oder Zobig ein selbst geschmiertes Sandwich. «Die Küche hier ist nicht für grosse Menüs eingerichtet.» Nach Militär-Käseschnitte, Pouletflügeli oder Schweinswürstli hört das Angebot des Restaurants Taube deshalb auf. Ausser im Sommer – dann brilliert Erwin Duss am Grill. «Meine Koteletten sind weitum bekannt», sagt er stolz. «Ja, kochen könnte er – und tut er bei frühzeitigen Anfragen von Gästen auch», ergänzt seine Partnerin. Aber nichtsdestotrotz: Im «Tübeli» ist der Zapfhahn wichtiger als die Bratpfanne. Am meisten bestellt: «Bier, Bier und nochmals Bier.» Dazu: Zigaretten, Stumpen und nochmals Zigaretten.
Die anerkannte Raucherbeiz
«Raucherbeiz», steht in Grossbuchstaben auf der Holztafel vor dem Eingang zum Restaurant. Erwin Duss: «Passt das jemanden nicht, soll er woanders hin.» Sagt er, fingert in der Brusttasche seines Hemds nach einer Zigarette und bläst kurz darauf den Rauch in den Raum. Doris Riechsteiner drückt ihren fertig gerauchten Glimmstängel derweil in den Aschenbecher, das Zigarettenpäckli bleibt griffbereit. «Dass man hier noch rauchen darf, das wird geschätzt», sagt sie. Erwin Duss erinnert sich noch genau daran, als der Kanton Luzern im Mai 2010 beschloss, das Rauchen in den Innenräumen einzuschränken. Restaurants unter 80 Quadratmeter Fläche hätten die Möglichkeit, eine «Rauchergenehmigung» zu beantragen, hiess es. Noch am gleichen Tag dieser Bekanntgabe mass Erwin Duss sein Restaurant mit einem Meter aus. Sein Ergebnis: 79 Quadratmeter. «Kaum hatte ich den Antrag beim Kanton eingereicht, standen die Beamten bereits mit einem Laser-Messgerät bei mir in der Stube», erinnert sich Duss. Ihr Ergebnis: 79 Quadratmeter. Raucherbeiz genehmigt. Duss und Riechsteiner wollten diesem Status nie aufheben – das zeigt nur schon der Blick in den Aschenbecher vor ihnen auf dem Tisch. «Und auch unsere Nachfolger haben das nicht geplant.» Sowieso: Simone Hofstetter und Philipp Birrer wollen «den Laden hier nicht auf den Kopf stellen», wie sie auf WB-Nachfrage betonen. Auch bei ihnen gelte: «S’Tübeli soll s’Tübeli bleiben.»
Goldwaschen in Alaska
Auffallen wird der Wirtewechsel trotzdem. Augenscheinlich. Denn: An den Holzwänden der Beiz fehlen die blechernen Tafeln. Route 66, Marilyn Monroe und Rodeo: Die Sujets erzählten von Erwin Duss und Doris Riechsteiners unzähligen Reisen in die USA und nach Alaska. Verschuldet sind diese einer grossen Leidenschaft von Erwin Duss, von der er Gästen gerne mit leuchtenden Augen erzählt: dem Goldwaschen. Jahrelang half er Toni Obertüfer-Meyer selig in seinem berühmten Goldwasch-Shop aus. «Das Goldwaschen habe ich mir selbst beigebracht – und über die Jahre hinweg immer mehr verfeinert.» In Goldwäscher-Kreisen ist Duss bekannt für sein Können. So kommt es, dass der 62-Jährige bereits 16-mal als Reiseleiter in Alaska war, wo er Interessierten in freier Wildnis das Handwerk näherbrachte. Leitete er einen solchen Trip, hielt Doris Riechsteiner in Willisau die Stellung, bis sie schliesslich für zwei Ferien-Wochen nachreiste. «Ja, unsere Abwesenheit musste stets geplant sein», sagt die Wirtin. Sie gibt zu: «Das war nicht immer einfach.» Durch die langen Präsenzzeiten und 6-Tage-Arbeitswoche hätten sie wenig Freizeit gehabt. «Spontan an einem Ausflug teilnehmen? Unmöglich», sagt Erwin Duss. Er freue sich nun auf die neue Freiheit. «Bleibt nur zu hoffen, dass die Pandemie bald endet.» Im «Tübeli» wurden dafür früh Massnahmen getroffen: Das Wirtepaar sagte schon vor der offiziellen Weisung 2G an. «Wir wollen einfach die Normalität zurück.» Bei den Gästen sei dieser Beschluss gut angekommen. «Die meisten sind sowieso geimpft.»
Um Gäste muss das Traditionsrestaurant sowieso nicht bangen. Ob Jassfreunde oder Zeitungsleser, Arbeiter oder Vereinsmitglieder: «Alleine waren wir selten.» Über die Jahre hinweg seien zwar etliche treue Kunden verstorben. «Über 200», präzisiert Erwin Duss – der Wirt hat seine Stammgäste genau im Kopf. «Doch es kommen immer neue Generationen nach.» Der Stammtisch war nie leer. Doris Riechsteiner kennt das Erfolgsrezept dafür: «Jeden Gast so nehmen wie er ist.» Sich Zeit nehmen. Zuhören. «Und Bier bringen», sagt die Wirtin und lacht. Gab es in einer Jassrunde mal einen Spieler zu wenig, hockte sie sich dazu. «Das schätzen die Leute.»
Dem «Tübeli» treu bleiben
Der letzte Tag im Jahr – der letzte Arbeitstag von Erwin Duss und Doris Riechsteiner. Am kommenden Freitag sind die beiden noch als Wirtepaar im Einsatz. Danach ist Schluss. «20 Jahre sind genug – das haben wir immer gesagt», so Erwin Duss. Ganz in den Ruhestand begibt er sich noch nicht: Bei der Galliker AG tritt er eine Teilzeitstelle an. Und Doris Riechsteiner? «Ich werde endlich mehr Zeit für meine Grosskinder haben», sagt die 63-Jährige. Dem «Tübeli» wollen die beiden jedoch keineswegs den Rücken kehren: Vom Obergeschoss des Lokals ist das Paar auf der gleichen Strasse nur einige Hundert Meter weiter in eine Wohnung eines Mehrfamilienhauses gezogen. «Dem ‹Tübeli› bleiben wir treu – jetzt halt als Gäste», sagt Erwin Duss. Schliesslich, so seine Partnerin, sei das Restaurant ihnen ans Herz gewachsen. «Hier fühle ich mich einfach heimisch.» Da ist sie nicht die Einzige, wie ein Blick zum voll besetzten Stammtisch beweist. «Im Tübeli esch d’Wäut no in Ornig», sagt ein bärtiger Stammkunde, hebt sein leeres Glas Richtung Tresen – «hesch mer no eis?»