Grosswangen Philipp Z’Rotz denkt die Landwirtschaft neu. Er gründet mit Gl eichgesinnten den Verein Querbeet: Gut 40 Parteien, die sich einen Garten teilen. Wie soll das gehen? von Chantal Bossard

Bauernhof Rüezligen, Grosswangen. Der Nebel hängt zwischen den Tannenspitzen, am grauen Himmel dreht ein Milan seine Runden, eisiger Wind fährt durch Mark und Bein. Garstiges Herbstwetter. Philipp Z’Rotz stört das nicht. Voller Elan belädt er die Schubkarre, Gabel für Gabel hievt er die Ernterückstände, die zwischen Zuckerhut und Mangold liegen, von der brachen Erde. Schliesslich stösst er die vollbeladene Karre vorbei an Kabis, Krautstil und Kohlraben, zum Kompost am Rande des Gartens. Oder wohl eher: des Gemüsefelds. Um die 50 Gemüsesorten wachsen auf 25 Aren Fläche. Das Gemüse gehört den Vereinsmitglieder von «Querbeet», einer «Landwirtschaftskooperative». Darin sieht Philipp Z’Rotz die Zukunft. Wieso? «Weil sich die Landwirtschaft in einem Dilemma befindet.»

Philipp Z’Rotz pflegt und hegt den Garten des neu gegründeten Vereins «Landwirtschaftskooperative Rüezligen Querbeet». Foto Chantal Bossard

Vom Landwirt zum Musiker
Eigentlich ist Philipp Z’Rotz kein Mann der lauten Worte, der grossen Gesten. Doch wer mit dem 40-Jährigen über die Landwirtschaft spricht, der bekommt ihn in neuem Licht zu sehen. «Der steigende Preisdruck etwa durch die Globalisierung des Agrarmarktes, zwingt manche Landwirtinnen und Landwirte zu Wachstum und/oder zur Intensivierung der Produktion, andere wiederum zur Extensivierung und Subventionsoptimierung – beide Wege führen meiner Meinung nach in eine Sackgasse.» Denn: «Wir sollten aufgrund der wirtschaftlichen Zwänge weder unsere Lebensgrundlage, eine intakte Natur, unser Ökosystem, zerstören, noch dürfen wir die inländische Lebensmittelproduktion ins Ausland auslagern und uns zu vollkommen subventionsabhängigen Landschaftsgärtner machen lassen.» Z’Rotz redet schnell und überlegt, nennt Beispiele, knüpft Zusammenhänge, und man merkt bald: Er weiss, wovon er redet. Er ist auf einem Bauernhof in der Huben, Grosswangen aufgewachsen, absolvierte die Landwirtschaftslehre, arbeitete auf verschiedenen Betrieben, auch auf drei Landwirtschaftsbetrieben in Neuseeland. Dann hatte er genug. Auf Traktoren stundenlang die Erde zu durchpflügen – «das war nichts für mich.» Auch die Nutztierhaltung und ihre «Auswüchse» befremdeten den jungen Bauern je länger je mehr. Z’Rotz orientierte sich um, studierte Musik, lebte in Luzern. Wurde vom Produzent zum Konsument. «Ich merkte, wie schwierig es ist, meinen Ansprüchen, was Lebensmittel anbelangt, gerecht zu werden.» Saisonal, regional, möglichst unverpackt, nachhaltig und fair produziert: «Fast unmöglich», so Z’Rotz. «Bio-Broccoli aus Spanien – das ist doch Blödsinn!» So fand er – mitten in der Stadt – zurück zur Landwirtschaft: Im eigenen kleinen Garten baute er selbst Gemüse an. «Ich merkte, wie viel Freude mir das bereitet.»

Ein Gemüsegärtner mit Ideen
Nach 14 Jahren in Luzern zügelte der Musiker – Z’Rotz spielt und unterrichtet Saxofon – im Jahr 2017 mit seiner Familie nach Grosswangen zurück, startete vor zwei Jahren mit einem 50-Prozent-Pensum als Gruppenleiter in der Gemüsegärtnerei in der Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos, besuchte Weiterbildungen in Permakultur und Solidarischer Landwirtschaft. Immer mehr reifte in seinem Hinterkopf die Idee, selbst etwas in der Landwirtschaft zu bewegen. Er entwickelte, studierte und konzipierte, veranstaltete einen Infoabend, bis er schliesslich am 18. Januar 2020 Nägel mit Köpfen machte: Er gründete zusammen mit anderen Interessierten den Verein «Querbeet Landwirtschaftskooperative».

Ein Verein mit Garten
Zweck des Vereins ist gemäss Statuten «ein landwirtschaftlicher Betrieb, der durch einen Zusammenschluss von Produzierenden und Konsumierenden in Kooperation selbst verwaltet und selbst gestaltet und geführt wird, um die Vereinsmitglieder mit ihren eigenen Produkten zu versorgen». Kurz: Die Vereinsmitglieder führen zusammen einen grossen Garten, das geerntete Gemüse wird untereinander verteilt. Am meisten jedoch arbeitet Philipp Z’Rotz. Er wirkt einerseits im Vorstand des neu gegründeten Vereins und ist anderseits auch als Einziger als sogenannte «Gemüsefachkraft» zu einem 15-Prozent-Pensum angestellt. Er plant den ganzen Gemüseanbau bis zum Packen der Gemüsekisten. Letztere werden Woche für Woche an alle Vereinsmitglieder ausgeliefert. Sie haben einen Wert von durchschnittlich 20 Franken. Dafür zahlen die Mitglieder aktuell einen Vereins-Beitrag von 500 Franken pro Jahr – «den sie eigentlich in Form von Gemüse wieder zurückerhalten», betont Z’Rotz. Zudem verpflichtet sich jedes Vereinsmitglied zur Mitarbeit – aktuell zwei Tage pro Jahr. Feldarbeit, Administration, Lieferung: Die Mitarbeit kann in verschiedenen Bereichen geleistet werden, je nach Fähigkeiten und Interessen. Der Lohn dafür? «Biologisches, unverpacktes, regionales, saisonales und frisches Gemüse.» Aus einem Garten, der möglichst von Hand statt mit schweren Maschinen bewirtschaftet wird, in dem die Biodiversität hochgehalten wird, fern von Preisdruck und Wachstumszwang. An der jährlichen Generalversammlung können die Mitglieder der Kooperative ausserdem mitbestimmen, was und wie angebaut wird.

Fitnessstudio und Naturspielgruppe
Die Idee kommt gut an. Gestartet mit 22 Vereinsmitgliedern, zählt «Querbeet» heute bereits deren 37. «Und das ohne gross dafür zu werben», so Z’Rotz. «Es scheint, als teilen viele Menschen das Bedürfnis nach ‹wirklich nachhaltig› erzeugten Lebensmittel.» Gut ein Drittel der Mitglieder, so schätzt Z’Rotz, kommt aus der Stadt Luzern. Familien, die den Bezug zur Natur suchen und wissen wollen, wo ihr Essen herkommt: «Unser Verein schlägt zwei Fliegen auf einen Schlag.» Wenn nicht noch mehr: «Die ­Mithilfe auf dem Feld kann auch als Ergänzung zum Fitnesstudio-Besuch, oder für Kinder als Abwechslung zur Naturspielgruppe betrachtet werden», sagt Z’Rotz. Obwohl der Verein noch kein Jahr existiert, so ist er sich sicher: «Querbeet funktioniert.» So gut sogar, dass bereits im kommenden Jahr eine Erweiterung von den heutigen 25 Aren auf deren 35 vorgesehen ist. Das ist möglich, weil das betreffende Land der Familie Z’Rotz gehört. Der dazugehörige Bauernhof ist zwar ­verpachtet, doch eine entsprechende Abmachung im Pachtvertrag erlaubt die Nutzung. «Querbeet» arbeitet zudem mit dem Nachbars-Biohof der Familie Streiff-Stalder zusammen. «Bei Sachen wie Werkzeugen, Kühler usw. ist es gäbig, nicht bei Null anzufangen.»

Wandel braucht Zeit
Konzept funktioniert, Mitglieder motiviert. Ende gut, alles gut? Nicht für Philipp Z’Rotz. «Momentan bauen wir nur Gemüse an, doch da könnte noch einiges dazukommen.» Obst, Beeren, Pilze, Eier, Milch … − auch eine Zusammenarbeit mit weiteren Bio-Betrieben strebt der Grosswanger an. «Ach, ich habe noch ganz viele Ideen.» Die da wären? «Das kann ich noch nicht laut sagen, sonst heisst es noch, der Z’Rotz spinnt», sagt er und lacht. «Wir wollen die Kooperative im Gleichschritt mit dem wachsenden Umdenken in der Gesellschaft weiterentwickeln.» Und: «Dass sich so etwas etabliert, dafür braucht es Zeit.» Die Menschen müssten sich bewusst werden, so Z’Rotz, dass sie mit jedem Franken, den sie ausgeben, etwas bewirken, ein System hinter einem Produkt unterstützen und schlussendlich auch die Verantwortung tragen. «Kauft man Pouletfleisch aus Brasilien, so ist das ein Statement. Es gibt keine Ausreden.» Er könne x Beispiele von Auswüchsen im Lebensmittelmarkt auftischen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen würden. «Aber ich will meine Energie möglichst nicht für das Kritisieren gängiger Systeme verschwenden. Ich versuche viel mehr die positiven Alternativen in den Fokus zu rücken und an einer zukunftsfähigen Landwirtschaft mitzugestalten», sagt Z’Rotz. Denn: «Solange wir noch auf der Strasse sind, können wir die Kurve kriegen.»

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