Egolzwil Gitarrist, Sänger und Komponist: Tampa Red war ein einflussreicher Blues­musiker, gehörte zu den herausragenden Slide-Gitarristen und hat über 300 Songs veröffentlicht. Erst jetzt erscheint eine erste Biografie des Künstlers – geschrieben vom Egolzwiler Richard Koechli.

Richard Köchli aus Egolzwil. Foto zvg

Herr Koechli, der US-amerikanische Künstler Tampa Red, gebürtig Hudson Whittaker, war während mehr als 20 Jahren in Chicago tonangebend. Sie selbst nennen ihn in Ihrem neusten Buch den «König des Blues».
 

Er war nicht nur der König, er war der Vater der Szene in Chicago. Zu dieser Zeit gab es zahlreiche grosse Pioniere. Ein paar von ihnen haben es in unser kollektives Gedächtnis geschafft. Robert Johnson, B. B. King, Muddy Waters oder John Lee Hooker zum Beispiel – das sind klingende Namen. Doch die Bluesgeschichte wurde ebenso von Unglücklichen geprägt; von verkannten Genies oder eben von Königen, die entthront und vergessen wurden. Tampa Red ist ein krasses Beispiel. Während seiner «Amtszeit» in den Dreissiger- und Vierzigerjahren war er äusserst erfolgreich. Red war eine Schlüsselfigur im Übergang vom ländlichen zum städtischen Blues.

Und trotzdem haben Sie mit Ihrem Buch weltweit die erste Biografie über diese Musik-Legende verfasst. Wie erklären Sie sich das?
 

Heute hat die Musikwelt längst genug Legenden. So passiert es, dass es einerseits haufenweise Biografien gibt, in denen irgendwelche zertifizierten Stars auf 700 Seiten über ihre Drogen- und Sexabenteuer berichten. Und anderseits kein einziges Buch zu Legenden wie Tampa Red existiert. Geschichtsschreibung passiert in der Musik vor allem durch Mythenbildung; einige werden zu unsterblichen Göttern gemacht, andere gehen leer aus. Es ist eine Mischung aus kalkulierter Miss­achtung – weil zu viele Götter dem Geschäft schaden – und tausend unglücklichen Zufällen.

Wie war es bei Tampa Red?
 

Bei ihm lief am Schluss einiges schief. Er verpasste das grosse Blues Revival der Sechzigerjahre. Zudem konnte er den Tod seiner geliebten Frau nie verkraften. So war er als einsamer, alkoholkranker Mann schlichtweg nicht mehr interessant. Und landete schlussendlich vergessen in einem billigen Heim – welches auch Schauplatz in meinem Roman ist.

Roman ist das Stichwort: Nach einigen beliebten Sachbüchern für Gitarren-Amateure wie Profis haben Sie 2015 den ersten Roman «Dem Blues auf den Fersen» veröffentlicht. Verständlich, da eine fiktive Geschichte. Wieso aber haben Sie die Biografie über Tampa Red erneut in einen Roman verpackt?

Ich will mit so einem Buch nicht nur historische Aufklärungsarbeit leisten, ich möchte auch Lebendigkeit und Intimität erzeugen. Natürlich muss man bei einer Biografie so faktentreu wie möglich sein, doch letztlich ist bereits die Auswahl der Fakten subjektiv. Und wenn schon subjektiv, dann lieber gleich in Romanform. Ich habe mich bewusst auf die allerletzten Tage in Tampa Reds Leben (1981) konzentriert.Auf die einsamen Tage. Nur ist er in meinem Roman eben nicht einsam, sondern in Gesellschaft zweier jungen Leute. Er erzählt den beiden seine ganze Geschichte…

…und so werden auch die Lücken in seiner Biografie plausibel. Guter Trick! Doch woher stammen die vorhandenen Informationen seiner Lebensgeschichte?
 

Seine Lebensdaten sind bekannt, auch seine Musik ist konserviert. Schliesslich hat er über 300 (!) Songs auf Schallplatten veröffentlicht. Das Wissen über Tampa Red ist also vorhanden, in den allermeisten Fällen gesichert und heute sogar übers Internet zugänglich. Das ist jedoch alles wie ein riesiges Flickwerk verteilt. Renommierte Autoren haben in Bluesbüchern, Linernotes und Zeitschriften über ihn geschrieben, ihn sogar interviewt – aber immer nur bruchstückhaft. All diese Informationen zu sammeln, sie zu einem Ganzen zu formen und mit der Bluesgeschichte zu verknüpfen: Das war ungefähr ein Jahr harte Arbeit. Der Rest ist reine Lust des Erzählens, des Schreibens – ein Schoggi-Job für jede Autorenseele.

Ein Jahr Arbeit. Weshalb tun Sie sich das an?
 

Die Frage ist berechtigt: Man könnte mit provokanten Büchern zur aktuellen Weltlage sicher mehr Aufmerksamkeit erzeugen. Dennoch, Schreiben ist nie eine Tortur, im Gegenteil: Schreiben ist eine Leidenschaft! Bei mir war es in jungen Jahren sogar eine Notwendigkeit. Ich war ein mittelstarker Stotterer. Nur über das Schreiben konnte ich einen sprachlichen Selbstwert erarbeiten. Es wurde nicht zu meinem Beruf, das wäre ebenso verwegen gewesen wie der Musikerberuf. Obwohl ich letzteren schlussendlich trotzdem gewählt habe und nun seit 27 Jahren von der Musik lebe.

Mit Erfolg: 2013 haben Sie den «Swiss Blues Award» gewonnen, 2014 den Schweizer-Film­musik-Award («Der Goalie bin ig»). Kommt die Musik durch Ihre Schreib­projekte nun zu kurz?
 

Die Musik bleibt im Zentrum, auch bei der Themenwahl meiner Bücher. Natürlich, meine Kadenz als Musiker könnte höher sein. Andere bringen jährlich ein neues Album. Doch ich glaube, dass sich beides gegenseitig befruchtet. Das möchte ich auch künftig so weiterführen. Man kann nicht zehn Stunden am Tag schreiben, und auch als Musiker lässt sich mit stundenlangem Üben allein nichts erzwingen. Gewisse Fortschritte passieren einfach, sind ein Geschenk eines kontrastreichen Lebens. Auch wirtschaftlich hilft es, wenn man mehrere Standbeine hat, obwohl das Schreiben bisher keine Unsummen einbrachte.

Bluesman, Gitarrenvirtuose und Sänger: Die Rede ist jetzt nicht von Tampa Red aus Chicago, sondern von Ihnen, Richard Koechli aus Egolzwil. Haben Sie sich ebenfalls von Tampa Red’s Stil beeinflussen lassen?
 

Jeder Slidegitarrist hat von Tampa Red etwas mitbekommen. Ich habe mir nie die Finger daran verbrannt, so klingen zu wollen wie er. Ich bin eher ein Eklektiker und versuche, ganz verschiedene Einflüsse zu einem persönlichen Stil zu vermischen. Aber Red’s Spirit, die Wärme und Schönheit seiner Melodien und seines Klangs – das alles ist seit vielen Jahren bei mir, hat mich glücklich gemacht. Und ebenso traurig, denn im Hinterkopf war immer die Geschichte seines unwürdigen Abgangs. Ich habe mir die ganze Zeit vorgestellt, wie der grosse Blueskönig von Chicago seine letzten Tag in diesem Altenheim verbrachte – einsam, unerkannt, mit gebrochenem Herzen. Ich wollte ihm mit dieser Geschichte etwas zurückgeben.

 
Im Vorwort des Buchs heisst es «Spannend wie ein Krimi, berührend wie ein Drama, klärend wie ein Geschichtsbuch». 
Ein Werk für die Massen also?
 

Niemand schreibt in der Hoffnung, eine möglichst kleine Leserschaft zu erreichen. Es steckt dennoch kein Kalkül dahinter: Ich schreibe einfach so, wie ich es selber gerne lesen würde. Ein Buch muss mich berühren, unterhalten, den Horizont erweitern, zum Schmunzeln anregen und ebenso neue Lebensfragen provozieren. Gerade eine Biografie ist dafür wunderbar geeignet. Der grosse Spagat ist natürlich, mit diesem Buch eingefleischte Blues-Liebhaber genauso zu begeistern wie neutrale Bücherfreunde. Kein leichtes Unterfangen. Doch die ersten Reaktionen sind positiv. Auch von Leuten, die keinen besonderen Bezug zu dieser Musik haben.

Welche musikalischen und literarischen Projekte stehen in Zukunft an?
 

Nach diesem Buch habe ich Zeit, mich auf mein nächstes Musikalbum zu konzentrieren, welches im Herbst erscheinen wird. Ich freue mich darauf, es in den nächsten Monaten gemeinsam mit meinen langjährigen Mitmusikern fertig zu produzieren. Gleichzeitig bin ich regelmässig auf der Bühne, was ohnehin auf Trab hält. Und es sind bereits wieder zwei neue Buchprojekte im Hinterkopf. Da köcheln sie und irgendwann bin ich vielleicht bereit für eine Umsetzung. Bei all meinen Vorhaben ist mein einziges Ziel, immer eine Spur besser zu werden, gesund und dankbar zu bleiben und erfüllt zu sein. Allein schaffe ich das nicht. In meinem nächsten Album «grateful» wird deshalb die Dankbarkeit ein grosses Thema.

 

Die Handlung, das Heim, die Hauptpersonen

Eine Platte von Tampa Red. Foto zvg


Plot
Die junge Pflegerin Anna muss für den Abschluss ihrer Ausbildung ein einmonatiges Praktikum in einem Altersheim absolvieren. Sie landet im Central Nursing Home in Chicago, einem ziemlich heruntergekommenen Armenhaus. Sie hat während ihrer Ausbildung vom Pflegemodell nach Rudas und Böhm gehört und möchte das neue Wissen in der Praxis anwenden. Dabei geht es darum, durch die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie die Betroffenen zu reaktivieren und aus ihrer Desorientierung herauszuholen.

Es gelingt ihr, den Heimleiter für ihre Idee zu gewinnen und sie darf sich einen Insassen aussuchen, um diese umzusetzen. Sie wählt einen scheinbar verwahrlosten Mann, der verwirrt und verschlossen vor sich hindämmert. Es ist Hudson Whittaker. Natürlich weiss sie nicht, wer er ist. Zuhause erzählt sie ihrem Freund Eric davon. Der etwas altkluge, aber liebenswürdige Automechaniker ist ein grosser Bluesfan, spielt in seiner Freizeit Gitarre und betreut eine Blues- Radiosendung. Als er realisiert, wen sich Anna für ihre Versuche ausgesucht hat, ist er total aus dem Häuschen. Er kennt den Musiker und weiss um dessen Bedeutung. Er würde gerne mithelfen, Whittakers Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen und mit den Informationen eine Biografie zu verfassen, um die Lebensgeschichte des wichtigen, aber fast vergessenen Musikers öffentlich zu machen.

Anna gewinnt rasch das Vertrauen des alten Mannes und es gelingt ihr, ihn für das Vorhaben zu begeistern. Von nun an treffen sich die drei regelmässig. Die Treffen verlaufen alle ähnlich. Eric regt mit seinem Wissen Tampa Reds Erinnerung an, worauf dieser Erics Aussagen bestätigt, präzisiert oder korrigiert. Stück für Stück enthüllt sich dem Leser Whittakers Weg vom Waisenknaben über den Superstar bis zum mittellosen, einsamen, vergessenen Insassen eines Heims. Whittaker, Anna und Eric kommen sich Stück für Stück näher und werden schliesslich Freunde. Gegen Ende des Romans planen die beiden sogar, Hudson zum Konzert mit Muddy Waters und den Rolling Stones in die «Checkerboard Lounge» zu begleiten, das im November 1981 stattfinden soll. Leider kommt es nicht mehr dazu. Am 19. März 1981 stirbt Tampa Red beim Frühstück. Im selben Jahr wurde er in die «Blues Hall Of Fame» aufgenommen. bluesnews.ch

Buchbestellung:

Der Roman «Der vergessene König des Blues­ – Tampa Red» des Egolzwilers Richard Koechli, kann bei jedem Buchhändler sowie auch direkt unter www.tredition.de als Taschenbuch oder als gebundene Ausgabe bestellt werden.

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