Willisau Für die Vortragsreihe «Willisauer erzählen» kommt der Basler Biomediziner Professor Primo Leo Schär am Dienstag in sein Heimatstädtchen zurück. Der WB sprach mit dem Wissenschaftler über seinen Werdegang, seine Entdecker-Freude und die Krebsforschung.
Herr Schär, Sie sind Professor für molekulare Genetik an der medizinischen Fakultät der Universität Basel. Der Wissenschaftsberuf, die wichtige Stellung – ein Bubentraum von Ihnen?
Es war schon immer mein Wunsch, die eigenen Ideen verwirklichen zu können. Schon früh habe ich etwa Motoren auseinandergenommen – ich wollte den Aufbau und die Funktion verstehen und die Einzelteile danach wieder zusammensetzen. Tüfteln, unbekanntes Territorium beschreiten, eigenhändig etwas herausfinden: Diese Entdecker-Freude zieht sich durch mein bisheriges Leben.
Nach der Matura in naturwissenschaftlicher Richtung schrieben Sie sich an der Uni Bern für die Studiengänge Biologie und Musikwissenschaften ein. Nach zwei Semestern Studium gewann die Biologie die Oberhand. Hatten Sie ein konkretes Schlüsselerlebnis?
Zum einen langweilte mich die Musikwissenschaft. Das Studium war mir zu «trocken», anders als vorgestellt. Anderseits war ich positiv überrascht vom Biologie-Studium. Zu dieser Zeit wurde der molekularen Genetik immer mehr Beachtung geschenkt. Damit verbunden: ein riesiges Feld neuer Forschungsmöglichkeiten. Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre: An einem Exkurs nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und frage den strengen Professor, ob er in dieser Forschung eine Zukunft sehe. Seine Antwort war weder positiv noch negativ. Und genau dieses Ungewisse hat mich fasziniert.
Max Planck sagte einst: «Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang, für den Wissenschaftler am Ende aller seiner Überlegungen.»
Ich verstehen die Aussage sehr gut! In gewisser Weise glaube ich schon an Gott. Sicher ist, dass meine Ehrfurcht vor dem, was wir Schöpfung nennen, wächst mit der Einsicht in die faszinierende Komplexität des Lebens.
Ebenfalls wächst Ihre Einsicht über das komplexe Leben tagtäglich bei der Arbeit. Wie erklären Sie einem Laie, an was und für was Sie forschen?
Genetik ist die Studie der Vererbung. Vererbung wiederum ist ein biologischer Prozess und findet immer bei einer Fortpflanzung statt. Jedes Kind erbt Gene von den Eltern und diese Gene drücken der Reihe nach bestimmte Merkmale aus. Wie etwa die Haar- und Augenfarbe. Andererseits tragen die Gene auch die Gefahr von bestimmten Krankheiten und Störungen in sich. Mit Letzterem befasse ich mich.
Die Volkshochschule (VHS) Willisau schreibt: «Primo Schär wird uns aufzeigen, was die Forschung so faszinierend macht.» Was macht die Forschung faszinierend?
Die Forschung ist eine Reise ins Unbekannte. Ein guter Wissenschaftler kann neue Welten entdecken.
Sie dürfen sich wortwörtlich zu den «ausgezeichneten» Wissenschaftlern zählen. Vor vier Jahren haben Sie nämlich den Wissenschaftspreis der Stadt Basel für Ihre herausragenden Arbeiten in der Krebsforschung gewonnen.
Mit meinem Team von talentierten und engagierten Doktoranden, Post-Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeitern ist es mir gelungen, einige wichtige und international anerkannte Beiträge zum Verständnis der Genetik der Krebsentstehung und Therapie zu leisten. Der Preis war eine schöne Anerkennung für unsere Leistung. Es hat motiviert, doch nichts geändert. Am nächsten Tag ging ich wieder ins Labor und forschte weiter.
Wobei das Labor nicht immer das gleiche bleibt: Für Ihre Studien waren Sie für eine Zeit in London. Kommen Sie in Ihrem Beruf um die Welt?
Klar, Forschung ist international. Mein Aufenthalt in London war mit Abstand der längste. Fast vier Jahre lang forschte ich am renommierten Krebsforschungszentrum «Cancer Research UK» im Team von Tomas Lindahl, der 2015 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Noch heute bin ich durch Projekte und Kongresse mit vielen Labors aus verschiedenen Ländern in Kontakt. Als Wissenschaftler ist ein breites Netzwerk an Beziehungen äusserst wichtig.
Verfolgen Sie mit den Forschungen ein bestimmtes Ziel?
Krebs ist etwas Unheimliches: Aus kerngesunden Zellen entsteht in einem leisen, trickreichen und meist lange unbemerkten Prozess eine potenziell tödliche Geschwulst. Dieser Prozess basiert auf einer Veränderung der Erbsubstanz. Das ist die Grundlage für Krebs. Mein Ziel ist es, diese genetischen Veränderungen, die auf eine Krebsentwicklung hinweisen und schliesslich auslösen, zu verstehen. Durch dieses Verständnis wird es möglich, Krebs frühzeitig zu erkennen und gezielter zu behandeln. Gegen etwas, was man nicht kennt, gibt es schliesslich keine Mittel. Mit unserer Forschung wollen wir Möglichkeiten schaffen, Krebs durch genetische Früherkennung gezielt zu verhindern. Damit in Zukunft belastende, zum Teil giftige Therapien nicht mehr notwendig sind.
Am besten also, es kommt gar nie dazu. Wie soll ich leben, um das Risiko an Krebs zu erkranken, möglichst klein zu halten?
Egal ob männlich oder weiblich, arm oder reich, jung oder alt: Krebs macht keine Unterschiede, ist Bestandteil unserer Biologie. Krankheitsfördernd ist ein ungesunder Lebensstil, Rauchen und Sonnenbaden ohne Schutz. Allgemein gilt: Wer aktiv durchs Leben geht, sich gesund ernährt, bewegt und dabei fröhlich ist, macht schon vieles richtig. Es lohnt sich, den Alltag so zu gestalten, dass man glücklich ist. Das stärkt unser Immunsystem, die Abwehr gegen Krebs.
Folgen Sie diesem Beispiel?
Ja. Ich rauche nicht und gönne mir nur das eine oder andere Glas Rotwein. Ausserdem habe ich mir mein Hobby zum Beruf gemacht und eine tolle Familie. Das macht mich glücklich.
Nebst der Familie und der Forschung widmen Sie viel Zeit der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung. Ein ganz besonderes Anliegen von Ihnen?
Ja, ich bestrebe die richtige Auswahl der wissenschaftlichen Nachzügler. Der Wissenschaftsjob wurde in letzter Zeit mehr und mehr «business-like». Doch niemand soll diesen Berufszweig des «Lifestyles» wegen wählen. Vielmehr bin ich auf der Suche nach Leuten mit Eigenmotivation, mit Forschungsdrang, mit Tüftlergeist.