Grosswangen 26 Jahre jung und Chefkoch im neuen Restaurant des weltbekannten Spitzenkochs Andreas Caminada, im «Igniv» in Bad Ragaz. Der Grosswanger Silvio Germann ist ein aufgehender Stern in der Gastroszene.

Silvio Germann: Spitzenkoch in der Gourmetküche. Foto zvg

Seine Haltung ist gerade, entspannt. Der Blick konzentriert, präsent. Die erste Frage: «Herr Germann, was haben Sie heute zu Mittag gegessen?» Stirnrunzeln. «Pouletbrüstli, überbacken mit Rohschinken und Reis», antwortet er, ein verschmitztes Lächeln macht sich in seinen Mundwinkeln breit. Gutbürgerliche Küche für einen anerkannten Gourmetkoch. Dieser sitzt da, in lässigen Turnschuhen, verwaschenen Jeans und bequemem Pulli. Beide Füsse flach auf dem Boden platziert, erzählt der 26-Jährige, wie er die Spitze der Gastronomie-Szene erklommen hat, seinen Gästen zu kulinarischen Höhenflügen verhilft und als Chefkoch stets einen kühlen Kopf behält.

Jeder fängt ganz unten an

«Arbeit gibt Brot, Faulheit gibt Not». Ganz nach diesem Motto hat sich Silvio Germann in die Gourmetszene gekocht. Einen Platz am Herd, Kochtöpfe und Suppenlöffel: «Das Schöne am Koch sein, ist: Jeder hat die gleichen Mittel, die selben Chancen für den Aufstieg», sagt Silvio Germann. Und jeder fängt ganz unten an. In der Oberstufe in Grosswangen macht sich Germann auf die Suche nach der passenden Lehre. Das Schnuppern bei einem Koch ist für ihn ein gefundenes Fressen. «Ich wusste gleich, das ist es, das will ich lernen.» Nach einem Welschland-Jahr absolviert er die Lehre im Gasthaus Sempacherhof, Sempach. Schnell eignet er sich eines der ältesten Handwerke der Welt an. Er brät Fleisch, dämpft Karotten und kocht Penne al dente. «Viel habe ich von meiner Mutter gelernt. Sie bekochte meinen Vater und uns drei Buben immer hervorragend.» Germanns hatten oft Besuch und die Kinder mussten ihr in der Küche zu Hand gehen. «Davon profitierte ich in meiner Kochlehre.» Es gibt Tage, da steht er 16 Stunden in der Küche, mit geschwollenen Händen und schwerem Kopf: «Das gehört dazu. Es wird geschuftet.» Er merkt früh: Hinter dem Herd zurechtzukommen, das ist Grundvoraussetzung. Jedoch nicht ausreichend, um sich in der Szene einen Namen zu schaffen.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Ausdauer, Ehrgeiz und Disziplin: «Diese Eigenschaften sind notwendig, um in der Welt der Kochtöpfe erfolgreich zu sein.» Leidenschaft, Kreativität, Können und Ausdauer sind die Zutaten für das Erfolgsrezept. Und eine Prise Glück. «Ich war halt stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort», sagt Silvio Germann und zuckt bescheiden mit den Schultern. Talent gehöre auch dazu, das könne er nicht leugnen. Nach einem erfolgreichen Lehrabschluss, einem halbjährigen Sprachaufenthalt in Australien und diversen Kurzanstellungen im Gastro-Bereich durfte Germann zum ersten Mal Gourmetluft schnuppern. «Ein Wendepunkt in meinem Leben.» Von bürgerlicher Kost zu Gourmetspeisen. Von Gasthaus zu Luxus-Ressort. Von der Zentralschweiz nach Graubünden. Ja, mit seiner Anstellung als «Chef de Partie», sprich Leiter eines Küchenbereiches, ändert sich so einiges für den Grosswanger. Im Gourmetrestaurant Epoca in Flims kocht Germann Seite an Seite mit Sandro Steingruber, Koch des Jahres 2008. Steingruber ist einer der prominentesten Köche der Schweiz. «Bekannt für seine Perfektion und seine grossen Produktkenntnisse», heisst es in Fachkreisen. Der Tessiner verhalf dem Res­taurant in Flims zu 17 GaultMillau-Punkten. 20 Punkte sind die höchste Auszeichnung, die Toprestaurants erreichen können.

Von Caminada entdeckt

22 Jahre jung und bereits Koch in einem prominenten Gourmetrestaurant. Er hat es schon weit gebracht, doch will es noch weiter bringen. Silvio Germann scheint tatsächlich nicht nur ein Näschen für das Kochen, sondern auch für gute Gelegenheiten zu haben. Der weltberühmte Spitzenkoch Andreas Caminada lädt zum Probearbeiten ein. Eine Chance, die sich Germann nicht entgehen lässt. Drei Tage lang kocht er neben Caminada, einem guten Freund Steingrubers, auserlesene Gerichte. Das Resultat übertrifft seine eigenen Vorstellungen. Am dritten Tag wird er ins Büro von Caminada gebeten. Wäre es nach diesem gegangen, hätte Germann sogleich an seinem neuen Arbeitsplatz beginnen können: Im Schloss Schauenstein in Fürstenau. 19 Gault-Millau-Punkte, drei Michelin-Sterne, auf der Liste der Top-50-Restaurants der Welt. Die Spitze der Gastronomieszene. Doch selbst Starköche wie Caminada müssen sich den Kündigungsfristen beugen: So arbeitet Silvio Germann beim Gourmetrestaurant Epoca fertig, bevor er in der «Schauenstein»-Schlossküche in Fürstenau beginnt.

Der Koch, ein Künstler

«Am Anfang war der Leistungsdruck riesig», sagt Germann. Eine gewaltige Umstellung? «Naja, die Küche war nicht viel anders, die Kochinstrumente die gleichen und doch war da der Leistungsanspruch von Andreas Caminada zu spüren», sagt er und lacht. «Das Arbeiten in der Gourmetküche erfordert höchste Präzision.» Massgebend sei jedoch auch die Kreativität. «Der Koch ist ein Künstler.» Ein Künstler? «Kunst spricht die Sinne an. Gutes Essen ebenso.» Das Ziel sei es, die Gäste immer wieder aufs Neue zu überraschen. «Das ist unsere oberste Maxime. Silvio Germann verbrachte drei lehrreiche Jahre lang bei dem Meister Caminada. Dann kündigt er. «Ich wollte die Welt sehen.» Neugierde: Eine weitere Eigenschaft, die ein Koch innehaben müsse. Ein neues Land, ein anderes Restaurant, ein weiterer Starkoch. Germann geht für drei Monate nach São Paulo, Brasilien. Sein neuer Chef: Alex Atala, der beste Koch Südamerikas, auf der Liste der hundert einflussreichsten Menschen der Welt. Sein Restaurant D.O.M. war 2012 auf Rang vier der besten Res­taurants der Welt. «Der Küche Atalas dient der Amazonas als Speisekammer. In seinem Restaurant schafft er kulinarische Grenzerfahrungen», sagt Silvio Germann.

Eine unglaubliche Ehre

Kaum zurück in der Schweiz, kommt der Anruf. Am Apparat: Andreas Caminada. Er bietet Germann eine Stelle an in seinem neuen, zweiten Restaurant. Nicht irgendeine. Der Posten des Chefkochs soll er bekommen. Seine Mithilfe sei bei der Eröffnung eines neuen Restaurants gefragt. «Ein solches Angebot ist eine unglaubliche Ehre und gleichzeitig eine grosse Herausforderung», sagt Germann. Seit dem 16. Dezember des letzten Jahres ist das neue Restaurant «Igniv by Andreas Caminada» in Bad Ragaz eröffnet. Doch zuvor: ein Berg Arbeit. Zusammen mit Caminada setzte Silvio Germann das vom Bündner konzipierte Foodkonzept für das neue Restaurant um. Dessen Name: «Fine Dining Sharing Experience». Als Inspirationsquellen hierfür dienten Reisen in die USA, nach Spanien, Schweden und Österreich. «Bis jetzt hat sich unsere Arbeit bewährt», sagt Silvio Germann. Das Restaurant Igniv sei gut angelaufen, die Gäste zufrieden und der Teamzusammenhalt gross. Letzteres sei wichtig: «Der Koch ist ein Teamplayer. Die Harmonie untereinander ist dementsprechend notwendig.» Nach der Besprechung mit Andreas Caminada, hält Germann jeden Morgen eine Teamsitzung mit seinen fünf Mitarbeitenden ab. Danach geht es an das Vorbereiten für die Gäste am Abend. «90 Prozent unserer Arbeit besteht aus der Vorbereitung.» Welche Rolle hat der Chefkoch dabei? «Wie alle anderen rüste ich Gemüse, schnitzle Kartoffeln und putze die Arbeitsflächen danach», sagt Germann. Nebst dem ist er verantwortlich für sein Team. Fertigt Arbeitspläne an. Tätigt Lohnzahlungen. Macht Bestellungen. «Ausserdem bin ich von null auf hundert Gastgeber geworden. Das war anfangs ungewohnt. Nun freue ich mich immer darauf, einige Worte mit den Gästen zu wechseln.»

Verwurzelt in Grosswangen

«Igniv» ist rätoromanisch und steht für «Nest». Ein solches ist das «Igniv by Andreas Caminada» ebenso für die nächsten Jahre von Silvio Germann. «Trotzdem ist und bleibt Grosswangen mein Zuhause. Mir ist wichtig, diesen Bezug nicht zu verlieren. Meine Familie und Kollegen besuche ich so häufig wie möglich.» Mit ihnen spielt er Fussball, geht ins Kino oder in den Ausgang. Gibt es bei ihm anschliessend auch mal einen Burger? «Selbstverständlich. Ich mag Fast Food.» Wird er privat noch zum Essen eingeladen? «Ja natürlich. Ich lade auch gerne zum Essen bei mir ein. Ob Gourmet oder nicht: Im Vordergrund steht das Soziale, das miteinander Zeit zu verbringen.» Die letzte Frage: «Der Mensch ist, was er isst. Herr Germann, was ist Ihre Leibspeise?» Stirnrunzeln. «Pasta jeder Art», sagt er schliesslich. Beide Füsse auf dem Boden. Ein verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht. Einfache, unkomplizierte und bescheidene Kost für einen Gourmetkoch.

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