Was sie in Worten nicht ausdrücken kann, sagt sie mit ihrer Kunst: Rahel Suter-Portmann erzählt Geschichten. Gemalt, genäht – und nicht selten im Abfall gefunden. Ein Besuch in ihrem Schötzer Atelier.

Einige wenige Sonnenstrahlen haben sich durch die Wolkendecke gekämpft. Scheinen in das Atelier, lassen Staubkörner im Licht tanzen und die Farben auf den Leinwänden leuchten. Wissenhusen 12 A, im ehemaligen Zivilschutzgebäude in Schötz, die Treppe rauf rechts. Hier stapeln sich Farbbüchsen, liegen Notizbücher, Postkarten, Verpackungspapier, stehen Pinsel, Tulpen, Teetassen, hängen Zeitungsausschnitte, Skizzen, Kunstwerke. «Chaos mit System», sagt Rahel Suter-Portmann (51). Es ist ihr Reich. Und veranschaulicht deutlich, wie vielseitig die Künstlerin ist.

Sammelsurium an Fundsachen

Auf einer weissen Plane hat Rahel Suter Andenken an die Ferien in Dänemark ausgebreitet. Schwemmgut, gesammelt an langen Strandspaziergängen. «Das hier sind keine normalen Steine», sagt sie und streicht über die Brocken vor sich. «Das ist Ton.» Und wenn nass, lässt sich damit malen. Bereits in Dänemark füllt sie ihr Notizbuch mit Farbfeldern, zurück in der Schweiz lässt sie die Farben und Formen in ihre Kunst einfliessen. «Das zeigt gut, wie ich arbeite: Ob Ton, Rost oder Erde, ich experimentiere gerne mit dem, was ich finde.» So verkomme der Abfalleimer des Öfteren zu einer Inspirationsquelle, die Altpapiersammlung zu einer Schatzkiste. «Ich habe ein grosses Sammelsurium an Fundsachen.» Als jüngst ihre 22-jährige Tochter in den Ferien war, brachte sie ihrer Mutter einen flach-gefahrenen, angerosteten Bierdeckel nach Hause. «Mit solchen Souvenirs kann man mir eine wahre Freude machen», sagt Rahel Suter und lacht.

Genähte Tagebücher

In einer Ecke, da steht sie. Die Vergangenheit, die auch in der Gegenwart eine Rolle spielt: die Nähmaschine. Rahel Suter, geboren in Luzern, besuchte das Handarbeitslehrerinnen-Seminar, machte den Abschluss in Textilem, Technischem und Bildnerischem Gestalten. Im Lauf der Jahre unterrichtete sie die Fächer an verschiedenen Schulen – während zwei Jahren auch an der Primarschule in Schötz. Seit 2019 gibt sie Berufskunde-Unterricht am Berufsbildungszentrum in Sursee. Die Nähmaschine im Schötzer Atelier hat jedoch nichts mit ihrer Teilzeit-Arbeit an der Schule zu tun. Stattdessen ist das Nähen Teil ihres Kunstschaffens. «Irgendwann habe ich aus Spass damit angefangen, jeden Tag zu nähen», sagt sie. Entstanden sind «genähte Tagebücher», Postkarten, Serien. Sie erzählen Geschichten – nicht mit Worten, sondern mit Material und Komposition. Rahel Suter zeigt eine Seite ihres «Tagebuchs». «Schau hier habe ich etwa gebrauchtes Backpapier aufgenäht.» Denn wer sich achte, sehe: «In diesem Papier kann es so tolle Musterungen geben.»

Achtsam durch das Leben

Diese «Kreativität im Alltag» lehrt sie Interessierte mitunter in ihrem Jahreskurs – einer von vielen verschiedenen Kursen, die sie in ihrem Seminarraum im Erdgeschoss des Gebäudes unterrichtet. Was lernen Kursteilnehmende? «Allem voran, das Auge auf die alltäglichen Schönheiten zu schulen. So klein sie auch sein mögen – sie sind nicht unbedeutend.» Mit ein wenig Übung sei es möglich, «die Welt mit anderen Augen zu betrachten». Und daraus Einzigartiges zu erschaffen. Nichts Abgezeichnetes, nichts Nachgemachtes, nichts Ausdruckloses: «Mich langweilen solche Werke ohne Seele, ohne Tiefe.» Um sich selbst jene Tiefe zu bewahren, meditiert Rahel Suter meist täglich. «Manchmal sprudle ich regelrecht vor Eindrücken und Ideen. Das Stillsitzen bringt mich dazu, fokussiert zu bleiben.»

Das Vergehen und Auferstehen

Den Fokus schärfen: Auch ein Bestandteil ihres Studiums an der Visual Arts School Basel. Im Sommer 2025 wird die 51-Jährige die vierjährige, berufsbegleitende Diplomausbildung abschliessen. Referate, Kunstgeschichte, malerische oder zeichnerische Techniken, Material, Druckverfahren, Performance: «Die Ausbildung ist unglaublich vielfältig, ohne den Teilnehmenden ihren eigenen Stil abzusprechen», schwärmt Suter.

Unter anderem im Rahmen des Unterrichts entstanden: das diesjährige WB-Osterbild. Es zeigt abstrahiert den Lebenskreis einer «Söiblueme». «Zuerst habe ich mich auf die Farben konzentriert, habe genau herausgearbeitet, welche Töne in einem Löwenzahn enthalten sind.» Danach habe sie sich mit den Formen befasst. «Ich habe mich richtig in die Energie einer Söiblueme eingefühlt.» Danach habe sie ihre «Forschungsergebnisse», wie sie es nennt, auf der Leinwand kombiniert. Das Ergebnis zeigt das Werden und Vergehen und die Auferstehung. «Unsere Seele existiert auch nach dem Tod unseres Körpers weiter», ist Suter überzeugt.

Das Bild in sich von sich

Wie würden Sie sich selbst beschreiben? Eine Standardfrage am Schluss jeder journalistischen Begegnung. Zugegeben: eine schwierige. Oft folgt langes Stirnrunzeln. Graben nach jenen Wörtern, die erfolgreich zwischen selbstbewusst und selbstkritisch balancieren. «Das kann ich nicht», sagt Rahel Suter gerade heraus. Die Künstlerin sitzt zum Ende des Interviews am kleinen Holztisch mitten in ihrem Atelier. In den Händen eine Tasse Tee, im Kopf keine Wörter. «Aber ich habe ein Bild in mir drin!» Und zwar: ein Oval mit vielen Armen in allen Farben, die sich in verschiedenste Richtungen bewegen, pulsierend, vibrierend, lebendig. «Das passiert mir oft», sagt sie. «Mir fehlen die Begriffe, ich denke in Bildern.» Das hindert sie nicht am Geschichtenerzählen, im Gegenteil.

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