Ich warte. Nervös wippe ich mit meinem Fuss auf und ab. Auf und ab. Auf und – die Dame vis à vis durchlöchert mich mit einem bösen Blick – ganz langsam ab. Ich sitze still, und lasse meinen Blick wandern. Weit kommt er nicht: Vom kalten Plättliboden, über den leeren Glastisch zu den weissen Wänden. Seichte Popmusik plätschert aus den kleinen Musik-Boxen in der Ecke, die Luft riecht nach Desinfektionsmittel. Dieses Zimmer ist definitiv nicht zum Bleiben gedacht. Nur zum Warten. Und das tue ich. Warten. Jetzt! Die Milchglastür öffnet sich, «Frau Krei­enbühl, Sie sind an der Reihe», die Tür schliesst sich. Ich sinke zurück in den Stuhl. Warte weiter. Warte. Warte. Bis endlich: «Frau Bossard.»

Und dann warte ich wieder. Weisse Wände, Plättliboden, Popmusik. Statt nach Desinfektionsmittel riecht es hier nach Mundspülung und ich liege in einem Behandlungsstuhl. Warte. Erst auf die Dentalassistentin. Dann warte ich wieder. Gerade überlege ich mir, wie ich mir am besten unbemerkt noch rasch die Schuhspitzen sauber schrubbe, da öffnet sich die Tür. Da ist er: Dr. Tanner, Kieferchirurg. Auch er hat das Warten satt: Meine Weisheitszähne verstecken sich seit Jahren zu weit oben, um sie zu ziehen. Nun sollen sie rausoperiert werden. Dr. Tanner drückt mir die lange Nadel einer Spritze in den Gaumen, die glatt zum Equipment eines Horrorfilms gehören könnte. «Jetzt warten», sagt er.

Und nachdem die Betäubung eingesetzt hat, heisst es noch einmal: warten. Nun allerdings mit offenem Mund, kreischenden Bohrgeräuschen in den Ohren und Blutgeschmack im Rachen. Action! Es wird gesäbelt und geschnitten, gezogen und genäht. Bis schliesslich: «Fertig!» Es war ein blutiges Gemetzel, aber Dr. Tanner hat’s geschafft: Die Weisheitszähne sind draussen. Das Warten hat ein Ende. Dachte ich.

Mit Kaltkompressen an beiden Wangen laufe ich durch die Strassen Luzerns. Vorbei an geschlossenen Kleiderläden, Schmuckgeschäften, Restaurants. Mir fällt ein weisser Schriftzug in dem dunklen Schaufenster der «Raviolibar» auf. Da steht:

«Ich warte. Du wartest. Er, sie, es wartet. Wir warten auf euch. Ihr wartet auf uns. Wir warten aufeinander. Auf die Musik der kommenden Tage. Santé!»

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