SCHÖTZ Das Coronavirus hat Einzug in viele Altersheime genommen. Ein Fallbeispiel: das Schötzer Mauritiusheim. Über die Hälfte der Bewohnenden wurde positiv getestet. Der WB hat sich mit Heimleiter Stefan Wülser über diese anspruchsvollen Zeiten unterhalten.

Altersheime sind von der zweiten Corona-Welle stärker betroffen als noch im Frühling. So hatte etwa das Mauritiusheim in der ersten Welle keinen einzigen Coronafall vorzuweisen – und nun wurden 28 der 53 Bewohnenden positiv auf Covid-19 getestet (Anm. d. Redaktion: Stand Mittwoch­abend, 17 Uhr). Über die Hälfte hat sich infiziert, doch das Schötzer Heim ist absolut kein Einzelfall. «Die Fallzahlen in der Gesellschaft sind hoch, auch Bewohnende und Mitarbeitende in Institutionen sind betroffen.», bestätigt Christian Arnold, Präsident des kantonalen Verbands für Pflegeheime Curaviva auf WB-Nachfrage (siehe Kasten). Doch wie geht es innerhalb der Heimwände zu und her? Stefan Wülser, Leiter des Mauritiusheims, steht dem WB Red und Antwort.

Stefan Wülser, es sind anspruchsvolle Zeiten für einen Heimleiter.
Die Zeiten sind für uns alle anspruchsvoll. Aber ja, ganz klar auch für mich. Vor ein paar Wochen kam ein Bewohner zu mir, schaute mich an und sagte, ich soll mir nicht so viele Sorgen machen. «Ech ha i mim Läbe scho vöu Schlemmers öberläbt», sagte er. Er wollte mir Mut machen. Das war rührend.

Machen Sie sich denn Sorgen?
Ich bin mir schlicht meiner Verantwortung bewusst. Bewohnende, Personal, Angehörige: Als Heimleiter fühle ich mich für das Wohlergehen von vielen, sehr vielen Leuten verantwortlich. Jede und jeder definiert «Wohl­ergehen» anders.

Die einen wollen Freiheit, die anderen Sicherheit.
Ja, das ist der Spagat, in dem wir uns momentan befinden. Für mich ist klar: Seniorinnen und Senioren dürfen nicht für lange Zeit weggesperrt werden – schliesslich ist ihr Sterben jederzeit möglich. Gleichzeitig wollen wir ihre Gesundheit schützen. Das ist eine Herausforderung! So wie überall, gibt es auch im Mauritiusheim unterschiedliche Meinungen: Das Lager der Massnahmen-Befürworter, das Lager der Gegner und diejenigen dazwischen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als stets nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden und zu handeln. Doch das Risiko einer Corona-Ansteckung lässt sich leider nie ganz auf null senken.

Wieso nicht?
Dazu hätten wir das Haus ganz abriegeln müssen – und wir sind ja keine Strafanstalt! Nachdem der Regierungsrat im Frühling ein Besuchsverbot angeordnet hat, wollten im Sommer und Herbst viele Angehörige ihre Mutter, ihren Vater, wieder treffen. Diese sozialen Kontakte sind für die Bewohnerinnen und Bewohner sehr wichtig, wir wollten und konnten ihnen diese nicht verbieten. Klar achteten wir darauf, dass das Schutzkonzept eingehalten wurde. Jedoch zeigte sich bei den Besuchen, dass es sich schwierig gestaltet, Leute auseinanderzuhalten, die sich lange nicht mehr gesehen haben. Man ist sich schnell etwas näher als erlaubt. Nebst den Besuchen ist zudem die Belegschaft ein Risikofaktor: Ihnen müsste man glatt verbieten nach Hause zu gehen, um keine Ansteckung zu garantieren. Dass wir das nicht machen, versteht sich von selbst. Jedoch wollen wir von allen, dass sie bei Krankheitsanzeichen dringend zuhause bleiben und sich testen lassen.

Hat das je zu Personalmangel geführt?
Bis jetzt zum Glück nicht, nein. Holz anfassen – denn ich würde wirklich ungern jemanden mit Symptomen zur Arbeit delegieren. Wir hatten erst vereinzelte Coronafälle in der Belegschaft. Doch letzte Woche wurden die ­ersten Bewohnerinnen und Bewohner des Mauritiusheim positiv auf Covid-19 getestet.

Waren Sie vorbereitet?
Ja. Wir haben uns auf diese Situation vorbereitet und sofort damit begonnen, die geplanten Massnahmen umzusetzen. Ausserdem haben wir sogleich Schnelltests bei allen Bewohnern durchgeführt, wie es der Kanton seit Neustem verlangt.

Über die Hälfte der Bewohnenden wurde dabei positiv getestet.
Ja, und die meisten haben keinerlei Anzeichen gezeigt. Es ist erschreckend, in welcher «Scheinsicherheit» man sich wiegt. Deshalb sind solche Massentests wirklich sinnvoll: Sie helfen dabei, schnell und effizient Massnahmen zu ergreifen – und so allenfalls Menschenleben zu retten. Bisher ist ein Bewohner an Covid-19 verstorben (Anm. d. Redak­tion: Stand Mittwoch­abend, 17 Uhr).

Welche Massnahmen haben Sie ergriffen?
Momentan ist das Haus geschlossen, Besuchsmöglichkeiten sind nur in dringenden Ausnahmefällen abzuklären. Grösstenteils alle Bewohnerinnen und Bewohner befinden sich in ihren Zimmern – die positiv getesteten sowieso, doch auch der Rest zieht die Sicherheit der eigenen vier Wände momentan vor. Das Essen wird in den sogenannten «Spitex-Boxen» auf die Zimmer geliefert. Regelmässig werden alle Bewohner mit Schnelltests auf Covid-19 geprüft. Bei dieser Arbeit werden wir zusätzlich tatkräftig von unserem Verband Curaviva Luzern unterstützt. Es ist zudem wichtig, sowohl mit dem Personal, mit den Angehörigen als auch mit den Bewohnern stets offen und ehrlich zu kommunizieren.

Das klingt nicht nach Weihnachtsstimmung.
Leider ist heuer keine Feier möglich – dabei hatten wir bereits ein kleines Fest mit passendem Schutzkonzept vorbereitet. Dann kamen die positiven Testresultate … Aber jäno, wir lassen den Kopf nicht hängen. Wir versuchen mit kleinen Dingen etwas Weihnachtsstimmung in das Mauritiusheim zu zaubern – etwa mit einem feinen Znacht oder einer schönen Weihnachtsdekoration. Das Pflegeteam gibt alles, um den Bewohnerinnen und Bewohnern die schwere Zeit etwas einfacher zu machen – und umgekehrt auch. «Zusammen schaffen wir das», höre ich im Heim von allen Seiten. Und ist es nicht genau das, was Weihnachten eigentlich ausmachen sollte? Falls ja, dann ist die Weihnachtsstimmung bei uns definitiv trotz allen Umständen vorhanden.

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?
Ich wünsche mir für uns alle, dass wir dieses verflixte Virus in den Griff bekommen, denn es ist ermüdend. Aber klar, das dauert seine Zeit. Bis es so weit ist, wünsche ich mir mehr Verständnis füreinander und eine differenziertere Sichtweise auf die ganze Sache. Es ist nicht alles schwarz oder weiss auf dieser Welt, nicht nur Wirtschaft oder Menschen­leben. Wir können nicht die ganze Zeit gegeneinander wettern, sondern müssen zusammen an einem Strick ziehen. Dann kommt es gut.

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