Grosswangen Sie ziert Schaufenster, verbirgt sich hinter Garagentoren und wartet in Firmenräumen: Die Kunst hat Grosswangen eingenommen. Leise. Laut. Gross. Klein. Eine wunderbare Aktion des heimischen Kulturkreises. Der WB begab sich auf Entdeckungstour. Und staunte.
Kleine Wunder. Allesamt. Sie leuchten, drehen sich teilweise sogar, faszinieren ganz sicher. Kaum betritt man die Bude im Gewerbe Badhus 19, fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Hier präsentiert Röne Albisser sein neustes Schaffen. Filigrane Meisterwerke leuchten unter gläsernen Glocken. Beim genaueren Hinsehen erkennt man Alltagsgegenstände: Champagnergläser, Weihnachtskugeln, Parfümflacons. Gefräst, gespritzt, zusammengefügt und bestückt mit LED-Lämpchen. «Licht-Panoptikum», nennt der Grosswanger Künstler das. Noch nie gehört. Noch nie gesehen. Aber sofort verzaubert. Wie so oft an diesem Donnerstagabend. Grund: der Kunstparcours, organisiert vom Kulturkreis Grosswangen.
21 Kunstschaffende, 12 Orte, ein Monat
«Pinte» Grosswangen, Donnerstag, 16 Uhr. Josef Heini und Gerhard Baumeler, Mitglieder
des Kulturkreises Grosswangen, begrüssen die Medienschaffenden zum Rundgang. «Corona legte die Kulturbranche lahm – dagegen wollten wir etwas unternehmen», sagt Initiant Geri Baumeler. Entstanden ist der Kunstparcours «Blickpunkt»: 21 Kunstschaffende mit Grosswanger Bezug präsentieren an 12 Standorten im Dorf ihre Werke. «So verteilen sich die Besucher coronakonform», sagt Baumeler. Firmen, Lokale, Schaufenster und offene Plätze werden zu kleinen Galerien. Zu Farbtupfern im düsteren Corona-Grau. «Und zur Erkenntnis, wie vielfältig Kunst sein kann», sagt Josef Heini, Präsident des Kulturkreises. Er wird Recht behalten. Den Besucher erwarten Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Toninstallationen und vieles mehr. Via Wegweiser sind die Standorte zu Fuss oder mit dem Auto erreichbar. «Wir machen jetzt einen Schnelldurchgang», erklärt Geri Baumeler. Maximal zwei Stunden hat er eingerechnet. So viel vorweg: Das reicht bei Weitem nicht.
Auf andere Gedanken bringen
Bereits die erste Station lädt zum Verweilen ein. Im Valiant-Gebäude haben sich auf zwei Stockwerken sogleich drei Kunstschaffende einquartiert. Bei Meg Künzli ist gerade Schlussspurt angesagt. Mit roten Wangen erzählt sie, dass sie erst heute Nachmittag die Tonköpfe für ihre Installation «Menschen in der Coronazeit» aus dem Ofen geholt habe. «Wie warmi Weggli», sagt sie lachend. Für besagte Installation hat Künzli 130 Kilogramm Ton verarbeitet. Angefangen damit hat sie während des Lockdowns im Frühling. «Mich haben die Bilder von verunsicherten, isolierten Menschen tief berührt.» Die Tonköpfe sollen dieser Betroffenheit Ausdruck verleihen. «Ich freue mich, hier am Kunstparcours meine Gedanken, mein Schaffen teilen zu dürfen.» Mit dieser Freude ist sie nicht alleine. «Es ist so schön, dürfen wir die Leute in dieser schwierigen Zeit auf andere Gedanken bringen», sagt etwa Marlis Müller. Die Grosswangerin ist unter anderem bekannt für ihre Illustrationen im Kochbuch «Luzerner Bäuerinnen kochen». Im Schaufenster des Gwärb-Egge stellt sie ihre neuen, kleinformatigen Arbeiten aus, die während drei Jahren entstanden sind. Farbige Tagebuchbeiträge, Bildgeschichten, Seelenbilder. «Die Natürlichkeit des Alltags steht im Fokus.» Nicht die Natürlichkeit, sondern die Natur haben die Fotografen Fritz und Elmar Bättig im Fokus. Zu sehen sind ihre Fotos im «Ochsen» Grosswangen. Ob die Weiher im Ostergau oder der Vierwaldstättersee: Die zwei Brüder halten mystische Momente für die Ewigkeit fest.
Elena Parris, die Internationale
Alles andere als Momentaufnahmen: Elena Parris‘ Werke. Die Künstlerin führt mehrere Elemente zu Geschichten zusammen: Fotografiertes, Gemaltes, Geschriebens. Die Kunst, genannt «Visual Explorer», ist im Kunsthof Klausenmatt ausgestellt. «Mein Thema ist die Vielschichtigkeit», sagt Parris. Sie drückt den Anwesenden sogleich eine Pressemappe in die Hand. Man merkt: Diese Frau weiss, wie es läuft. Die Kunst ist ihre Berufung – und ihr Beruf. Die gebürtige Luzernerin verschrieb sich früh der Fotografie, studierte an der UDK Berlin bildende Kunst, arbeitete an der Seite verschiedenster namhafter Fotografen, hat schon weltweit ausgestellt – von Berlin bis Shanghai, von Tiflis bis Zürich. Und jetzt in Grosswangen. «Der Kunstparcours bietet mir in der aktuellen Zeit die Möglichkeit, meine Werke der Öffentlichkeit zu präsentieren – dafür bin ich dankbar», sagt sie.
Die Fotos von Tierarzt Fritz Wüest
Anders als für Elena Parris ist es für viele der Kunstschaffenden das erste Mal, dass sie ihre Werke im grösseren Rahmen der Öffentlichkeit zeigen. So etwa für Beatrice Baumeler Roth, Irene Zeller-Baumeler und Cornelia Keller-Baumeler, drei Schwestern von Geri Baumeler, welche in seinem Wohnhaus eine gemeinsame Ausstellung mit Bildern, Skulpturen und Installationen erstellt haben. Oder für den frisch nach Grosswangen gezügelten Hans Golling. In dem wunderschönen Holzspycher von Urs und Fränzi Meyer in Oberroth präsentiert er seine Leidenschaft: Er verwandelt alte Milchkannen in Laternen. Die kunstvollen Verzierungen entstehen von Hand mit dem Plasmaschneider. Zum ersten Mal der Öffentlichkeit gezeigt werden auch die Fotos von Dr. Fritz Wüest (1895 – 1971), ehemaliger Tierarzt von Grosswangen. Joe Kurmann hat Wüests einzigartigen Fotoschatz sorgfältig aufbereitet und präsentiert eine Auswahl in der Schulhausstrasse 5 (dem ehemaligen Wohnort Wüests) unter dem Namen «Met de Sou fahre». «Es hat Arbeit gegeben – aber es hat sich gelohnt», so Kurmann. Ja, das hat es definitiv. Absolut sehenswert!
Es ist längst dunkel geworden, als sich der Rundgang zu Ende neigt. Zweieinhalb Stunden sind wie im Fluge vergangen. Für die letzte Station geht es ins Gewerbegebiet. Röne Albisser, gezwirbelter Schnäuzer, wache Augen, erwartet seine Gäste bereits. «Nur hereinspaziert», sagt er und hält die Tür auf. Dahinter: eine andere Welt. «Licht-Panoptikum» nennt der Grosswanger Künstler das. Noch nie gehört. Noch nie gesehen. Aber sofort verzaubert. Wie so oft an diesem Donnerstagabend.