„Werdet wie die Kinder, sonst kommt ihr nie ins Himmelreich!“
Das war das Motto meines Grossvaters. Er war ein lebensfroher Zeitgenosse, hat selbst auf dem Totenbett noch lauthals Ruedi Rymanns «Schacher Seppli» gesungen. Und allen Krankenschwestern «werdet wie die Kinder» eingetrichtert. Heute macht er todsicher das Himmelreich unsicher.
«Werdet wie die Kinder…» – der Spruch ist nicht dem kreativen Kopf meines «Grossdäddis» entsprungen, obwohl ich das immer angenommen habe. Laut Bibel hat der Jünger Matthäus (18:3, 1 – 4) anno dazumal bereits ähnliche Worte benutzt.
Doch weshalb hat mein Grossdäddi genau diesen Psalm aus der Bibel als Lebensmotto gewählt? Das frage ich mich seit geraumer Zeit. «Kind sein, erwachsen werden und Kind bleiben», antwortete mir mein Grossdäddi einst auf die Frage nach dem Sinn seiner Ideologie. Für mich damals als Kind noch schwer nachvollziehbar. Heute gelte ich mit 20 Jahren als erwachsen. Dennoch bin ich jung genug, um mich bestens an meine Kindheit zu erinnern:
Der Wald galt als Dschungel voller Abenteuer, die kleinen, schimmernden Kieselsteine am Wegesrand waren wertvolle Diamanten, die ersten «Schneeglöggli» im Frühling – ein wahres Wunderwerk. «Was?, Warum?, Wieso?»: Meine Fragestunden dauerten den ganzen Tag, beim Pöstler wär ich ohne Weiteres ins Auto gestiegen und wenn mein Vater ein komisches Hemd trug, fragte ich mit grossen Augen: «Hesch di verkleidet Papi?».
Nach dem Schwelgen in Kindheitserinnerungen wird mir klar: Was bei Kindern kinderleicht erscheint, ist im Erwachsenen-Alter kein Kinderspiel.
Kindisch sein kann jeder, nicht doch kindlich.
Ich will das Kind beim Namen nennen: Ehrlichkeit, Lebensfreude, Wissensdurst, Neugier, Vertrauen, Lernfähigkeit, Unbeschwertheit, Offenheit… All diese Eigenschaften und noch viel mehr, sind den meisten Kindern eigen.
«Werdet wie die Kinder, sonst kommt ihr nie ins Himmelreich.» Ich denke an die weisen Worte meines Grossdäddis zurück – und begreife.