Die Freiheit ist teuer. Das Gefühl unbezahlbar.

In den Stall mit dir, Drahtesel. Nie mehr keuchen und strampeln. Fertig geflucht über Platten, hinausgesprungene Ketten und quietschende Bremsen. An die Stelle des zer­zausten Mädchens mit hochrotem, verschwitztem Kopf tritt eine Dame von Welt. Autonom, organisiert, vernünftig.

Führerschein bedeutet erwachsen sein. Durchhaltevermögen, Geduld und viel Bares hat mich das Autobillett gekostet. Doch es hat sich gelohnt.

Piip, piip. Bereits dieses Geräusch beim Öffnen des Autos lässt mein Herz automatisch höher schlagen. Schlüssel drehen, Motor starten, Gas geben. Wow. Einparkieren, aussteigen. Piip, piip. Ich zelebrierte meine neue Freiheit. Bin hin und weg. Wortwörtlich. Das Autofahren gibt mir den nötigen Antrieb, in den Tag zu starten. Kurzum: Riesig war die Freude über den «Check», noch grösser die Ernüchterung auf der Strasse.

Erneut stehe ich im Stau, eingeklemmt zwischen zwei Stossstangen. Ungeduldig trommle ich mit den Fingern aufs Lenkrad. Ich habe einen Interviewtermin. Gopf! Schon wieder winkt der Verkehrslotse alle andern um die Baustelle, lässt unsere Reihe weiter warten. Hallo! Mein Interviewtermin beginnt in zehn Minuten! Herrgott nochmal! Mein Stossgebet im Ohr des Verkehrsreglers. Es geht vorwärts. Doch ich würg ihn ab, den Motor. Totenstille unter der Haube, wildes Gehupe im Rücken. Schlüssel drehen und der Kleine heult auf wie der Löwe, der seine Haube ziert. Zähne zeigt nun aber auch der Lotse. Es ist die Höhe! Sein Arm geht in die Höhe. Stopp. Ich fahre – aber nur aus der Haut. Es folgen Fluchwörter, die eine Dame von Welt nie in den Mund nehmen würde. Von wegen autonom, vernünftig und organisiert: Der Platz hinter dem Steuer macht mich rasend. Der Blick in den Rückspiegel öffnet mir die Augen. Frei und unbeschwert fährt eine Radfahrerin links an den Autos vorbei, befindet sich mit ihrem Drahtesel auf der Überholspur.

Ja, die Freiheit ist teuer. Kostet Atem, Ausdauer, Anstrengung. Beinhaltet eine rote Rübe, Schweiss und verstrubelte Haare. Das Gefühl dafür: unbezahlbar.

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2 Responses

  1. Der Schreibstil gefällt mir gut. Besonders das reiche Vokabular, aber auch der raffinierte Einsatz von Idiomen („Ich fahre – aber nur aus der Haut.“) machen den Text sehr ansprechend zum Lesen. Dazu ist er kurz und knackig gehalten. Die Botschaft ist klar und doch attraktiv verpackt.
    Was mir aufgefallen ist: Der Satz „Ich zelebrierte meine neue Freiheit.“ steht im Präteritum, obwohl er in diesem Kontext wohl eher im Präsens stehen müsste. (Ich nehme aber an, dass es sich hierbei um einen Schreibfehler handelt.)
    Insgesamt jedenfalls ein Lob an deine Schreibkünste, auch deine anderen Kolumnen haben mich beeindruckt. 🙂

    • Lieber Marcel, vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar (habe ihn leider erst heute entdeckt). Solche Rückmeldungen sind wertvoll und motivieren! 🙂

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